Beschreibung
Spätestens seit den alten Griechen ist das individuelle Lehrgespräch (LG) die Paradedisziplin des Lehrens. Das untermauert auch die Forschung immer wieder. Das LG holt das Gegenüber bei seinen Bedürfnissen und seinem Vorwissen ab, führt es in seinem Tempo durch den Stoff. Es lässt das Gegenüber seine Lücken klären und den Lernpfad mit Fragen mitgestalten. Die Aufmerksamkeit und Begeisterung der Lehrperson (LP) gibt dem Inhalt Wichtigkeit, aber auch dem Gegenüber, und steckt an.
In den grossen Klassen, die wir unterrichten, ist es schwierig, die grossen Stärken des LG zu entfalten. Noch schwieriger wird es über Video-Chat, wo die Kommunikation leidet. Und dem individuellen Lernen zu Hause fehlt der soziale Charakter weitgehend. Derweil ist die Individualisierung im Klassenzimmer schwierig.
Wir wollen zeigen, dass ein Chat-Bot ein gutes Lehrgespräch führen und dabei erst noch auf die Lernenden einzeln eingehen kann – zu Hause wie auch im Klassenzimmer. So wird unser BlenderBot zum idealen Unterstützer im Blended Learning. Dabei nimmt er folgende Rollen ein:
• TeacherBot: Als digitaler Lehrer ermöglicht er individualisiertes soziales Lernen im LG,
• GuideBot: Als Leiter führt er die Lernenden zu Hause und im Klassenzimmer individuell durch die verschiedenen Lernmodule, nicht nur indem er ihre Reihenfolge aufzeigt, sondern sie gleich in den grösseren Zusammenhang stellt,
• InfoBot: Als Auskunft verhilft er den Lernenden leicht und rasch zu Informationen.
Nach diesem Pilotversuch möchten wir unsere Lehrerkolleg:innen und die Schuladministration technisch und didaktisch so schulen, dass sie selbstständig ChatBots erstellen, anwenden und optimieren können. Wir möchten damit unsere Schule für das digitale Lernen der Zukunft vorbereiten, wo ChatBots eine zentrale Rolle spielen werden, und so auch das Bewusstsein schärfen, welche neuen Räume sich uns dabei für den klassisch analogen Unterricht auftun.
Innovationspotenzial
Die erste Innovation ist, dass wir mit dem BlenderBot viele Stärken des sozialen Lernens nach Hause bringen. Auch wenn die Lernenden wissen, dass sie «nur» mit einem programmierten Chat-Bot interagieren, so zeigt diese Interaktion doch sozialen Charakter, v. a. wenn der Dialog natürlich und nahe an den Bedürfnissen der Lernenden programmiert ist. Ganz besonders profitieren Lernende, die Mühe mit dem selbstständigen Lernen haben, denn der Chat-Bot fokussiert, unterhält, fragt, aktiviert und animiert, scherzt, gibt ein Feedback und lindert sogar ein allfälliges Einsamkeitsgefühl. Darüber hinaus vermittelt er auch soziale Interaktionen innerhalb der Klasse, z. B. einen Meinungsaustausch in einem Forum oder eine Lösungsbesprechung über OneNote. Er vermittelt zudem den Dialog mit der LP, indem er testet und Fragen sowie Anregungen aufnimmt.
Die zweite Innovation ist, dass wir mit dem BlenderBot die Stärken des individualisierten Lernens viel breiter umsetzen – gerade auch im Klassenzimmer. Jede:r Lernende kann in ihrem bzw. seinem Lerntempo vorwärtsgehen. Schnelllerner sparen Zeit gegenüber dem Präsenzunterricht, Langsam-Lerner sparen ebenfalls Zeit, weil sie nicht abgehängt werden. Geschickt programmiert, berücksichtigt der BlenderBot das Vorwissen der Lernenden und geht auf ihre Bedürfnisse und Interessen ein. Er zeigt interessante Quellen, erzählt, fragt, erklärt, fragt nach, gibt Aufträge, sammelt sie ein, überprüft den Lernerfolg, fasst zusammen und nimmt am Schluss jedes Moduls noch offene Fragen auf. Die LP kann den Lernprozess jedes bzw. jeder einzelnen Lernenden mitverfolgen und die Fragen individuell beantworten. So kann die LP die Lernenden noch besser individualisiert führen, auch in der Klasse. Auf diesen Erfahrungen aufbauend kann sie den BlenderBot anschliessend optimieren.
Die dritte Innovation ist, dass wir mit dem BlenderBot einen oder mehrere rote Fäden durch den Mediensalat legen können. Denn multimediales Lernen droht am eigenen Erfolg zu scheitern. Es gibt so viele informative Videos, interessante Artikel, aktuelle Daten, coole Simulationen, spielerische Übungen, digitale Arbeitsflächen etc. Die Lernenden laufen Gefahr, den Überblick zu verlieren. Die Herausforderung ist also, die Perlen herauszupicken und auf dem roten Faden zu einer Perlenkette zu verbinden. Lernplattformen oder Skripte führen nur mangelhaft von einem Medium zum anderen. Unser BlenderBot beherrscht blendend die eleganten Überleitungen von Medium zu Medium. Er kann zeigen, wie sie sich im Lernpfad einordnen, ihre Relevanz aufzeigen, Rückmeldungen einholen usw. Dabei kann er leicht auch je nach Profil auf unterschiedliche rote Fäden durch die Materialien führen.
Die vierte Innovation ist, dass wir mit dem BlenderBot die gängigen Fragen sofort beantworten und auf die zentralen Informationsquellen, Übungen, Zusammenarbeitsplattformen etc. verweisen. Damit ersetzt er die LP als erste Ansprechperson für häufig gestellte Fragen und entlastet sie so. Das gibt ihr mehr Zeit für Begleitung der Lernenden in schwierigeren Angelegenheiten.
Didaktisch-methodisches Konzept
Gespräche haben normalerweise sehr viele Freiheitsgrade, was für das Programmieren von Chat-Bots eine grosse Herausforderung ist. In der Rolle als TeacherBot allerdings folgt unser BlenderBot einer didaktischen Struktur (z. B. induktiver/deduktiver Ansatz). Zwischen den Modulen vermittelt er als InfoBot zwischen den Modulen nach einer organisatorischen Struktur (z. B. aufzeigen, welche Module an das Vorwissen der Lernenden anknüpfen und wie sie zusammenhängen). Bei der Information folgt er als InfoBot einer thematischen Struktur. Damit sind in allen Rollen die Freiheitsgrade stark reduziert, was sie programmierbar macht. Ja es ist gerade diese Orientierung an einer didaktischen, organisatorischen bzw. thematischen Struktur, die für die Lehrtätigkeit und das Lernen ganz zentral ist. Die Herausforderung ist also, die Flexibilität des Chat-Bots so zu nutzen, dass die Benützer:innen bei ihren Bedürfnissen und ihrem Vorwissen abgeholt werden.
Das ist genau die Aufgabe unseres GuideBots. Er überprüft Lehrgang, Vorwissen und Bedürfnisse und schlägt dann dem bzw. der Lernenden einen Lernpfad durch die verschiedenen Lernmodule vor. Als Alternative schlägt er vor jedem Modul eine Abkürzung vor: eine sternförmige Struktur, wir nennen sie «La Place de l'Étoile», von der aus die Lernenden nach eigenem Bedarf auf jedes Modul und jede Zusammenfassung und Übung zugreifen können. Vor jedem Modul leitet unser GuideBot vom Vorwissen auf das Modul über, ordnet es inhaltlich ein. Am Ende des Moduls bietet er den Lernenden eine Zusammenfassung mit Lernzielen und Übungen und wieder die Abkürzung zur Place de l'Étoile an.
Auf den vom GuideBot erhobenen Daten über Lehrgang, Vorwissen und Bedürfnisse baut der Teacher-Bot dann innerhalb des einzelnen Moduls sein Lehrgespräch auf. Dabei führt er mit geeigneten Medien in einer für das Thema geeigneten didaktischen Struktur durch den Stoff. Um wirklich ein Lehrgespräch zu programmieren, muss der TeacherBot immer wieder das Verständnis der bzw. des Lernenden überprüfen, Fragen und Rückmeldungen aufnehmen, Vertiefungsmöglichkeiten anbieten etc. Dabei sollten auch unbedingt Elemente natürlicher Unterhaltung eingebaut werden: spontane Phrasen wie «Ich habe mir gerade überlegt…», humoristische oder neckische Bemerkungen, persönliche Bekenntnisse oder Nach-fragen nach der Meinung der Lernenden. Das hält das Gespräch natürlich, entspannt und macht es auch auf einer emotionalen Ebene interessant, was den Lernerfolg erhöht.
In der Rolle des InfoBots bewährt sich eine Baumstruktur für das Auffinden von Informationen. Er verweist auch auf La Place de l'Étoile.
Für Themen und didaktische Methoden mit vielen Freiheitsgraden, für das Lernen in den höchsten beiden Taxonomiestufen und für richtiges soziales Lernen sind Chat-Bots momentan nur beschränkt geeignet. Da hat der klassische Präsenzunterricht seine Stärke. Diese kann er dank der Unterstützung durch BlenderBot auch verstärkt ausspielen.