Beschreibung
Unsere Gesellschaft scheint sich immer mehr zu spalten, in immer extremere Positionen. Das Internet, speziell soziale Netzwerke scheinen in dieser Polarisierung eine zentrale Rolle zu spielen. Sie scheinen auch zu einer Enthemmung zu führen. So beobachten wir vermehrt Cybermobbing, Sexting, Betrug, Informationsblasen, Hating etc.
Allerdings sucht kaum jemand aktiv den Konflikt. Ganz im Gegenteil, oft finden wir uns plötzlich in einem Konflikt wieder, den wir gar nicht gesucht haben oder gar unbedingt vermeiden wollten. Aber uns wurde auch nie systematisch und professionell beigebracht, wie wir Konfliktspiralen brechen, Konflikte schlichten können oder gar nicht erst entstehen lassen. In der Schule begegnen wir dem Thema Konflikt zwar in vielen Fächern, aber wir lernen dort kaum den Umgang mit Konflikten für unserem eigenen Alltag:
- Wir betrachten in der Schule Kriege, aber nicht die kleinen «Kriege» im Alltag der Lernenden.
- Wir hinterfragen in der Schule Atomwaffen, aber nicht die Verwendung des Internets als Waffe.
- Wir thematisieren Machtungleichgewichte zwischen Staaten, Arm und Reich oder Charakteren eines Romans, aber nicht die Machterfahrungen unserer Lernenden.
- Wir lernen vieles über Rechte und Pflichten, lernen aber nicht, wie wir selber Konflikte vermeiden, lösen bzw. uns geschickt zur Wehr setzen usw.
Daher möchten wir die vielfältigen thematischen Ansatzpunkte, die uns die Lehrpläne vorlegen, nutzen und für unsere Lernenden interdisziplinär zu einem systematischen und professionellen Konflikttraining ausbauen. Unsere Lernenden lernen klar zu kommunizieren, sich abzugrenzen, Konfliktpotenzial zu erkennen, Konfliktspiralen zu durchbrechen, zu schlichten, zu vermitteln, Übereinkünfte zu finden und umzusetzen, psychische und rechtliche Unterstützung zu finden, selber zu unterstützen, Zivilcourage zu zeigen, Humor einzusetzen. Dies anhand von Beispielen aus ihrem Online- und Offline-Alltag und aus konkreten Trainings z. B. in Form von Improvisationstheater oder Online-Diskussionen.
Innovationspotential
Eine Innovation ist, dass wir damit das Handlungskompetenzmodell (HKM) umsetzen, das persönliche Ressourcen wie (Selbst-)Reflexion, Sozialkompetenzen, IKT-Kompetenzen, Arbeits- und Lernverhalten fördern will. Zwar stellen die neuen Lehrpläne auf das HKM ab, doch dessen Umsetzung wird weder eingefordert, noch wird den Lehrpersonen (LP) gezeigt, wie sie dies in der Fülle zu vermittelnder Fachkompetenzen unterbringen können.
Zudem vermitteln wir nicht einfach Stoff, bauen auch nicht nur Handlungskompetenzen (HK) auf, sondern stärken die Lernenden in ihrer Persönlichkeit. Der Think-Tank Reatch zeichnete diesen Ansatz als drittbeste Idee zur Bewältigung zukünftiger Krisen aus. Gerade der geschickte Umgang mit Konflikten online und offline wird zukünftig eine unerlässliche Kernkompetenz zur Problembewältigung sein.
Die dritte Innovation ist, dass wir die Lehrplaninhalte der Fächer emotional erlebbar machen, indem wir sie in die Lebenswelt unserer Lernenden und bis in die praktische Anwendung führen. Die Lernforschung und die Entwicklungspsychologie bestätigen immer wieder, was Reformpädagog:innen uns schon seit Comenius im 17. Jh. zu erklären versuchen: Nachhaltiges Lernen gelingt nur durch emotionale und soziale Erfahrung!
Darum holen wir unsere Lernenden auch bei ihren Erfahrungen aus ihrer digitale Lebenswelt ab. Cybermobbing, Sexting, Betrug, Informationsblasen, Hating etc. können wir mit unserem Programm angehen und integrieren so als vierte Innovation zentrale digitale Kompetenzen in den Fächern. Dazu streben wir eine Kooperation mit Netpathie an, die hier ihre Kernkompetenz haben und ebenfalls nicht nur Bildung liefern, sondern die gezielt die Persönlichkeit der jungen Internetnutzer stärken.
Didaktisch-methodisches Konzept
Die vier fundamentalen Pfeiler unseres Konzeptes sind:
- die konsequente Vernetzung von Fachinhalten mit der Lebenswelt der Lernenden,
- das rasche Lernen durch Transfers in beide Richtungen,
- die praktische Anwendung der Erkenntnisse,
- das Stärken der Persönlichkeit gemäss den Erkenntnissen aus der Positive Education.
Bewährt hat sich schon folgendes didaktisches Zusammenspiel dieser Pfeiler für eine Lehreinheit:
Die Grafik zeigt: kennzeichnend für unseren Ansatz ist das mehrfache Hin- und Herbewegen des Fokus zwischen Fachinhalt und Lebenswelt der Lernenden. Dadurch vernetzen wir den Lehrplanstoff mit der persönlichen Erfahrung der Lernenden und ermöglichen Transfers in beide Richtungen. Um beispielsweise in der Geschichte das Thema Krieg anzugehen, könnte die LP von einem persönlichen Streit eines Lernenden ausgehen, um anschliessend die Frage stellen: «In wie fern ist das eine Art Krieg?». So gewinnen die Lernenden einen persönlichen Anknüpfungspunkt an das Lehrplanthema und sehen damit dessen Relevanz, sich mit einem konkreten kriegerischen Konflikt vertraut zu machen. Anschliessend können wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Familienstreit untersuchen.
In einem ersten Transfer können nun die eigenen Erfahrungen mit Streit auf den Krieg übertragen werden, wodurch die Lernenden dort schon auf eine Art Vorwissen aufbauen können. Das erleichtert und beschleunigt ihnen den Einstieg ins Fachthema Krieg. Sie betrachten den Krieg nicht nur abstrakt von aussen ohne Bezug zu ihm, sondern bringen ihre Perspektive als Konfliktpartei mit hinein. So entwickeln sie ein tieferes Verständnis. Anschliessend können sie in einem zweiten Transfer in die Gegenrichtung aus dem Kriegsbeispiel für ihren eigenen Umgang mit Streit lernen.
Damit sind wir wieder zurück in ihrer Lebenswelt. Nun können wir ihre Erkenntnisse sammeln und zu einer Strategie im Umgang mit familiären Konflikten verdichten und diese z. B. in einem Improvisationstheater zu testen und zu üben. So lernen sie ihre eignen Probleme zu lösen.
Die Erfahrungen können nun ausgewertet und festgehalten werden: Welche Strategien funktionieren, welche nicht? Wie haben die Lernenden sich selber in dieser Situation erfahren? Damit bilden sie nicht nur HK aus, sondern werden von uns in ihrer Persönlichkeit gestärkt.
Die Erfahrungen zu den Strategien können nun in einem dritten Transfer wieder auf das Fachthema Krieg übertragen und auch hier am besten gleich wieder aktiv angewendet werden, z. B. in einer gespielten Friedenskonferenz. Abschluss bildet die Auswertungen dieser Erkenntnisse.
Hier eine Übersicht, wie sich Alltagskonfliktthemen problemlos mit den Lehrplänen der im Projekt involvierten Fächer vernetzen lassen:
Konfliktelement |
Anknüpfungspunkte in den Lehrplänen |
Fächer |
Konfliktentstehung |
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Spaltende Rhetorik/Kommunikation |
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D, G&P, SOZ |
Gruppendynamik |
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G&P, W&R SOZ, W&R |
Gewaltspirale |
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G&P |
Konfliktaustragung |
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Physische vs. psychische Gewalt |
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G&P, SOZ |
Eskalation |
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G&P, SOZ |
Machtungleichgewicht |
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G&P, SOZ, W&R G&P, SOZ |
Schlichtung |
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Schlichtung durch Dialog |
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G&P, SOZ |
Schlichtung durch Dritte |
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W&R, G&P G&P, SOZ |
Konfliktprävention |
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Inklusive Rhetorik/Kommunikation |
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D, W&R, SOZ |
Win-win-Setting suchen |
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W&R, SOZ G&P, W&R |
Diese Übersicht bezieht sich eben nur auf die im Projekt involvierten Fächer. Ganz viele Bezüge gibt es auch zur Informatik und Kommunikation. Über Spieltheorie können auch die Mathematik und die (Evolutions-)Biologie eingebunden werden, über diverse Texte auch alle Sprachfächer, über Wirtschaftsgeografie und Klima zudem die Geografie, und sogar die Chemie kann anhand chemischer Reaktionen und Katalysatoren Konfliktpotenzial, Eskalation und Konfliktfolgen thematisieren.
Wirkung
Die Lernenden profitieren gleich auf viererlei Ebenen von diesem Ansatz:
- Sie lernen schneller, da sie auf Vorwissen aus ihrer Erfahrungswelt aufbauen können.
- Sie lernen motivierter und nachhaltiger, weil sie leichter die Relevanz der Fachinhalte erkennen und ihre eigene Perspektive hineinbringen können. Aber auch, weil sie in den Trainings selber aktiv werden, eine Rolle einnehmen und eigene Überlegungen ausprobieren können. Sie können in der Schule ihre persönlichen Lebensherausforderungen thematisieren und lernen Strategien im Umgang damit. Sie erfahren, dass sie nicht für die Schule, sondern für sich selber lernen, und dass die LP sich für sie und ihr Wohlbefinden interessieren und einsetzen, weshalb sie sich entsprechend auch mehr engagieren.
- Sie werden in ihrer Persönlichkeit gestärkt. Über die Selbsterfahrung in den Trainings und Selbstreflexion stärken sie ihr Selbstbewusstsein und ihre Fähigkeiten mit Konflikten umzugehen. Die Erfahrung, dass sich die LP für sie interessieren und einsetzen, stärkt sie in ihrem Selbstwert und in ihrem Vertrauen in die Gesellschaft. So integrieren sie sich besser. Das stärkt unsere Gesellschaft, die sich mit vielen grossen Herausforderungen konfrontiert sieht.
- Die Arbeitgeber:innen wollen heute nicht mehr einfach nur Fachkräfte, sie wollen Persönlichkeiten. Mit unserem Ansatz steigern wir die Berufschancen unserer Lernenden nachhaltig. Das zeigt auch die Forschung: emotionale und soziale Kompetenzen stellen auf dem Arbeitsmarkt die Fachkompetenzen immer mehr in den Schatten. Letztere haben aber eine immer geringere Halbwertszeit, während Persönlichkeitsstärken nie veralten.
Auch LP stärken durch die Anleitung der Konflikttrainings ihre Persönlichkeit, was auch wiederum den Lernenden und dem Lehrpersonenteam zu Gute kommt. Ihre Arbeit macht mehr Sinn und stösst bei denen Lernenden auf mehr Gegenliebe. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit stärkt das Team.
Mit einer aktiven Persönlichkeitsstärkung holen wir unsere Schulen auf den aktuellen Stand der Lernforschung und Entwicklungspädagogik und bauen eine zukunftsweisende Kernkompetenz für ihre eigene Weiterentwicklung auf. So wandeln sich die Schulen vom Bildungs- zum Stärkungsort, wo Menschen zusammenkommen, um für ihr Leben zu lernen und sich als wertvolles Mitglied in unserer Gesellschaft zu integrieren. Die staatlichen Schulen holen damit im Wettbewerb mit regionalen Privatschulen und internationalen Online-Schulen auf, die Persönlichkeitsstärkung schon lange betreiben. So kommt der Staat seinem Verfassungsauftrag nach: Art. 11 Abs. 1 BV räumt Kindern und Jugendlichen nämlich einen Anspruch «auf Förderung ihrer Entwicklung» ein, nicht nur auf Fachwissen.
Erläuterung zum SAMR-Modell.
Im SAMR-Modell kann das vorliegende Projekt im Bereich "Modification" eingereiht werden, da es durch den Einbezug der Onlineerfahrungen der Lernenden den traditionell analogen Teil des Konflikttrainings neu gestaltet.